Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑127/12 vom 4. Mai 2023 betrifft die Auslegung von Art 185 der MwSt-RL. Demnach hat eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs insbesondere dann zu erfolgen, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben (Abs 1). Die Berichtigung unterbleibt jedoch unter anderem in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl (Abs 2).
Die Entscheidung des EuGH wurde im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Balgarska telekomunikatsionna kompania“ EAD (BTK) und der bulgarischen Finanzverwaltung erlassen. Der Streit betraf die Entscheidung der Finanzverwaltung, den Antrag von BTK auf Erstattung von Beträgen abzulehnen, die als Berichtigungen ursprünglicher Vorsteuerabzüge gezahlt wurden. Diese Berichtigungen waren aufgrund der Aussonderung verschiedener Investitionsgüter und Lagerbestände zwischen 2014 und 2017 vorgenommen worden. Die Gegenstände wurden ausgesondert, weil sie beispielsweise abgenutzt, fehlerhaft, veraltet oder ungeeignet waren, für unbrauchbar oder nicht verkaufsfähig gehalten wurden. Anschließend wurden die Gegenstände entweder als Abfall an steuerpflichtige Drittunternehmen verkauft, oder sie wurden zerstört oder entsorgt.
Das Vorabentscheidungsersuchen des bulgarischen Gerichts betrifft die Frage, ob die Bestimmungen der MwSt-RL, insbesondere Art 185 MwSt-RL, einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Unternehmen den Vorsteuerabzug für ausgesonderte Gegenstände berichtigen muss, wenn diese Gegenstände später als Abfall verkauft werden, oder wenn diese ordnungsgemäß und nachgewiesen zerstört oder entsorgt wurden. Fraglich ist für das vorlegende Gericht insbesondere, ob Art 185 Abs 2 MwSt-RL eine abschließende Aufzählung der Fälle enthalte, die – vorbehaltlich möglicher (hier jedoch nicht relevanter) Gegenausnahmen in Art 185 Abs 2 Unterabs 2 MwSt-RL – nicht zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führen dürften. Das vorlegende Gericht vertritt dabei die Auffassung, dass diese Fälle Situationen entsprächen, in denen ein Gegenstand vom Steuerpflichtigen aufgrund von Ereignissen, die außerhalb seiner Kontrolle lägen, nicht mehr für weitere Lieferungen verwendet werden könne. Mit der in solchen Fällen vorgesehenen Ausnahme von der Berichtigung solle verhindert werden, dass der Steuerpflichtige neben dem wirtschaftlichen auch einen steuerlichen Verlust erleide.
Der EuGH hält zunächst fest, dass die betreffenden Gegenstände im vorliegenden Fall teilweise vom Steuerpflichtigen im Rahmen steuerbarer Umsätze verkauft wurden. Da diese Gegenstände im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet worden sind, die der Mehrwertsteuer unterliegen, liegt keine Änderung von Faktoren vor, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich waren. Ohne Bedeutung ist nach Auffassung des EuGH, dass der Verkauf von Abfall nicht zu den gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen gehört, oder dass der Veräußerungswert der betreffenden Gegenstände niedriger ist als ihr ursprünglicher Wert, weil sie als Abfall verkauft wurden oder weil aus dem gleichen Grund ihre ursprüngliche Beschaffenheit geändert wurde.
Die weiteren Fragen des vorlegenden Gerichts betrafen die Auslegung, ob die Aussonderung eines nach Ansicht des Steuerpflichtigen im Rahmen seiner gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten unbrauchbar gewordenen Gegenstands, gefolgt von der vorsätzlichen Zerstörung dieses Gegenstands, eine „Änderung der Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden“, darstellt. Im Unterschied zur ersten Frage wurden die Waren bzw der Abfall nach erfolgter Zerstörung nicht weiterverkauft. Unzweifelhaft ist zwar die Zerstörung der Gegenstände, fraglich war jedoch auch ob die Zerstörung ein Ereignis sein muss, das außerhalb der Kontrolle des Steuerpflichtigen liegt und von diesem weder vorhergesehen noch verhindert werden konnte.
Dazu hält der EuGH einleitend fest, dass die Zerstörung eines Gegenstands zwangsläufig dazu führt, dass er nicht mehr im Rahmen von besteuerten Umsätzen verwendet werden kann. Der Unterschied zwischen Verlust und Zerstörung liegt nach Auffassung des EuGH darin, dass sich der Verlust eines Gegenstands nicht aus einer vorsätzlichen Handlung seines Eigentümers oder Besitzers ergeben kann. Im Fall der Zerstörung ist dies hingegen nicht ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Zerstörung der betreffenden Gegenstände durch ein Tätigwerden des Steuerpflichtigen. Daher ist davon auszugehen, dass es sich um eine „Zerstörung“ und nicht um einen „Verlust“ handelte. Weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus den Vorarbeiten, die für maßgeblich erachtet werden können, ergibt sich jedoch nach Auffassung des EuGH, dass die Zerstörung eines Gegenstands völlig unabhängig vom Willen des Steuerpflichtigen erfolgen muss. Insbesondere ist dies bei der Zerstörung eines Gegenstands der Fall, die wegen der Feststellung beschlossen wurde, dass der Gegenstand für die Verwendung im Rahmen der gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten ungeeignet geworden ist.
Die Zerstörung des Gegenstands muss allerdings ordnungsgemäß nachgewiesen oder belegt werden, und es kann nur diejenige Zerstörung eines Gegenstands berücksichtigt werden, die aufgrund des objektiven Verlusts des Nutzens dieses Gegenstands im Rahmen der gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen beschlossen wurde. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat das vorlegende Gericht zu überprüfen.
Im österreichischen UStG ist nicht ausdrücklich geregelt, wie im Fall des Verlustes oder der Zerstörung von Gegenständen zu verfahren ist. In unionsrechtskonformer Interpretation wird eine Vorsteuerkorrektur (oder allenfalls eine Eigenverbrauchsbesteuerung) aber grundsätzlich unterbleiben.
Voraussetzung ist allerdings, dass der Verlust oder die Zerstörung ordnungsgemäß nachgewiesen oder belegt werden kann. In Fällen der (wissentlichen) Zerstörung von Gegenständen scheint dies grundsätzlich einfach dokumentierbar zu sein. Es muss jedoch auch nachgewiesen werden, dass die Gegenstände objektiv keinen Nutzen mehr für das Unternehmen haben. Der Nachweis hierfür kann uU schwierig sein (zB geändertes Marktumfeld, wie mangelnde Nachfrage etc). Auch in Fällen der der unwissentlichen Zerstörung (zB durch Brand oder Hochwasser) wie auch des Verlustes kann der Nachweis schwierig sein, wird aber idR durch eine Schadensmeldung bei der Versicherung, ordnungsgemäßer Inventur uÄ belegbar sein.
Es zeigt sich aber durch dieses Urteil wieder, wie wichtig im geschäftlichen Alltag die Dokumentierung von Ereignissen ist. Bloße Behauptungen sind jedenfalls nicht ausreichend.