EuGH zur Rechtzeitigkeit von Beweismitteln

Der EuGH hatte in diesem Verfahren zu entscheiden, bis zu welchem Zeitpunkt Beweismittel noch rechtzeitig vorgebracht werden.

Die Klägerin, Nec, ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz und einem Lager in Slowenien. Im Jahr 2017 lieferte die Unternehmerin Kosmetikprodukte an zwei Kunden mit Sitz in Kroatien und Rumänien. Die Waren wurden vom Käufer übernommen und von Slowenien in einen anderen Mitgliedsstaat befördert. Nach Auffassung von Nec seien diese Lieferungen von der Mehrwertsteuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen erfasst gewesen. Im Rahmen eines Steuerprüfungsverfahrens in Bezug auf die für das Jahr 2017 geschuldete Mehrwertsteuer überprüfte die Steuerverwaltung der Republik Slowenien bei der Klägerin die Register und Unterlagen. Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 forderten sie die Unternehmerin zur Vorlage der gesamten Unterlagen bezüglich der betreffenden Lieferungen auf. Auf diesen Bescheid legte Nec Rechnungen und Kopien von Frachtbriefen vor, mit denen sie nachwies, dass Gegenstände von Slowenien in einen anderen Mitgliedsstaat befördert worden waren. Die Lieferscheine bzw. andere in den Frachtbriefen aufgeführte Urkunden waren der erstinstanzlichen Steuerbehörde damals nicht vorgelegt worden, wobei die Unternehmerin angegeben hatte, dass sie nicht über alle Urkunden verfüge und versuchen werde, diese zu erhalten. 

Die erstinstanzliche Steuerbehörde erließ ein Steuerprüfungsprotokoll und stellte dieses zu. In ihren fristgerecht eingereichten Anmerkungen zu dem Protokoll legte die Unternehmerin Kopien von Kostenvoranschlägen und Lieferscheinen vor, denen zufolge die fraglichen Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat als Slowenien geliefert worden seien. Außerdem begründete sie die verspätete Vorlage dieser Beweise damit, dass ihr Büro in Deutschland, das für die Lieferungen nach Kroatien verantwortlich gewesen sei, seine Tätigkeit im August 2018 eingestellt und ihr nicht alle erforderlichen Unterlagen fristgemäß übergeben habe. Am 30. Mai 2019 erließ die erstinstanzliche Steuerbehörde einen Steuerbescheid, mit dem sie das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren abschloss und die Zahlung eines zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrags für das Jahr 2017 verlangte. Darin wurde festgestellt, dass die Unternehmerin mit den Rechnungen und Frachtbriefen, die Lieferung in einen Mitgliedsstaat nicht nachweisen konnte. Die nach Erlass des Protokolls vorgelegten Beweise ließ die Behörde aufgrund ihrer verspäteten Vorlage u unberücksichtigt. 

Die Unternehmerin legte Einspruch gegen den Steuerbescheid ein, der vom Finanzministerium ebenfalls abgelehnt wurde. Auch die gegen den Bescheid des Finanzministeriums erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts abgewiesen. In Folge beantrage die Unternehmerin, die Zulassung einer Revision gegen dieses Urteil beim Obersten Gerichtshof. Dieser Antrag wurde insbesondere stattgegeben, um die Frage, ob die vorgesehene Ausschlussfrist für die Vorlage von Beweisen in einem Steuerverfahren nach Erlass eines Steuerprüfungsprotokolls Vorrang vor dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität des Mehrwertsteuersystems hat.

Anmerkung: Aus der EuGH-Entscheidung geht nicht hervor, weshalb die Nachweise nicht fristgerecht vorgelegt worden seien. Offenbar beruht dies auf dem slowenischen Recht, wonach neue Tatsachen und Beweise bis zur Ausstellung des Protokolls über die Steuerprüfung vorgelegt werden können. Danach scheint dies nur in ganz bestimmten Fällen möglich zu sein.

Der EuGH entschied, dass der Richtlinie in Verbindung mit den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität, der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt sind, einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es verbietet, im Lauf des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass des Steuerbescheids geführt hat, insbesondere nach den Steuerprüfungshandlungen, aber vor Erlass dieses Bescheids, neue Beweise vorzulegen und aufzunehmen, die belegen, dass die in Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen materiellen Voraussetzungen erfüllt sind.

 Der EuGH hält allerdings auch fest, dass die Steuerverwaltung zwar, wenn sie gegen eine steuerpflichtige Person zu dem Zeitpunkt, zu dem diese zusätzliche Beweise vorlegt, die das von ihr geltend gemachte Recht stützen, noch keinen Steuerbescheid erlassen hat, dieser Person die Berücksichtigung der Beweise verweigern kann. Diese Nichtberücksichtigung muss allerdings auf besondere Umstände gestützt werden, wie insbesondere auf das Fehlen jeglicher Rechtfertigung für die eingetretene Verzögerung oder darauf, dass die Verzögerung zu Steuerausfällen geführt habe.

Die Nichtberücksichtigung von Beweisen vor dem Erlass eines solchen Steuerbescheids ist nämlich geeignet, die Ausübung der vom Unionsrecht anerkannten Rechte übermäßig zu erschweren. Eine Nichtberücksichtigung schränkt die Möglichkeit der steuerpflichtigen Person ein, Beweise für die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen für eine Mehrwertsteuerbefreiung vorzulegen. Eine nationale Regelung, die es einer steuerpflichtigen Person in diesem Stadium des Steuerverfahrens nicht gestattet, die noch fehlenden Beweise beizubringen, um das von ihr geltend gemachte Recht zu stützen, und die etwaige Erläuterungen zu den Gründen, aus denen diese Beweise nicht früher vorgelegt wurden, unberücksichtigt lässt, ist somit offensichtlich schwerlich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie mit dem Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer vereinbar.

 Letztlich verweist der EuGH aber auf das nationale Gericht, das darüber zu entscheiden hat.

Praxisfolgen

Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig die Einhaltung von Fristen in der Praxis ist. Zwar kann die Finanzverwaltung laut EuGH die Berücksichtigung von nach Ablauf einer First vorgelegte Beweise dem Grunde nach verweigern, auch wenn noch kein Bescheid erlassen wurde. Dies muss jedoch auf besonderen Umständen (wie dem Fehlen jeglicher Rechtfertigung für die Verzögerung), da die Rechte eines Steuerpflichtigen dadurch massiv eingeschränkt werden. Etwaige Begründungen für die Verzögerung sollten daher dazu führen, dass neue Beweise und Tatsachen sehr wohl auch zu berücksichtigen sind.