Der EuGH hatte am 07. April 2022 über die mögliche Begründung einer festen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu entscheiden, in dem eine Gesellschaft über eine Tochtergesellschaft verfügt. Der EuGH hat bereits in einer anderen Rechtssache festgestellt, dass auch eine Tochtergesellschaft grundsätzlich eine feste Niederlassung begründen kann.
Im Sachverhalt geht es um eine AG mit Sitz in Deutschland, die in Rumänien pharmazeutische Erzeugnisse zur Versorgung von Arzneimittelgroßhändlern vertreibt. Die AG schloss einen Vertrag über Dienstleistungen im Zusammenhang mit Werbung, Information und Absatzförderung mit einer rumänischen Gesellschaft. Die AG ist einzige Kundin des rumänischen Unternehmens und mittelbar zu 95% beteiligt.
Für die Dienstleistungen der rumänischen Gesellschaft leistete die AG eine monatliche Vergütung. Die Verrechnung erfolgte ohne Mehrwertsteuer, da davon ausgegangen wurde, dass der Ort der Dienstleistungen in Deutschland liege (Grundregelleistung; Empfängerortprinzip). Bei einer Steuerprüfung kam die rumänische Finanzverwaltung hingegen zum Ergebnis, dass die von der rumänischen Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen von der deutschen Gesellschaft in Rumänien empfangen worden seien, da diese in Rumänien über eine feste Niederlassung verfügt habe. Die Beurteilung über die feste Niederlassung erfolgte hauptsächlich aufgrund der technischen und personellen Ausstattung der rumänischen Gesellschaft, zu denen die deutsche Gesellschaft ununterbrochen Zugang gehabt habe. Die Steuerverwaltung erließ daraufhin einen Steuerbescheid, mit dem die rumänische Gesellschaft zur Zahlung der Mehrwertsteuer für die betroffenen Leistungen verpflichtet wurde. Daraufhin erhob die rumänische Gesellschaft Klage und bestritt, dass die deutsche Gesellschaft eine feste Niederlassung in Rumänien habe.
Strittig war, ob es für die Begründung einer festen Niederlassung erforderlich ist, dass eine Gesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat.
Der EuGH hält jedoch erneut fest, dass das Vorliegen einer festen Niederlassung nicht aus dem bloßen Umstand hergeleitet werden kann, dass eine Gesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat. Eine feste Niederlassung setzt einen hinreichenden Grad an Beständigkeit und eine Struktur voraus, die von ihrer personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung oder den Empfang von Leistungen erlaubt. Die unionsrechtlichen Bestimmungen enthalten jedoch keine Aussagen dazu, dass die personelle und technische Ausstattung einer festen Niederlassung auch gehören muss. Jedenfalls muss ein Steuerpflichtiger aber über die personelle und technische Ausstattung so verfügen können, als wäre sie seine eigene. Dies erfolgt beispielsweise auf Grundlage von Dienstleistungs- oder Mietverträgen, die nicht kurzfristig gekündigt werden können.
Während der EuGH die Beurteilung dieser Frage an das vorlegende Gericht zurückverweist, stellt er fest, dass in diesem Fall die personelle und technische Ausstattung, die eine Dienstleistung erbringt, dieselbe wäre, die diese Dienstleistung empfängt. Dieselbe Ausstattung kann jedoch nicht gleichzeitig für die Erbringung und für den Empfang derselben Dienstleistungen verwendet werden. Eine Steuerpflicht scheidet daher aus diesem Grund aus.
Mit diesem Urteil macht der EuGH (wieder) deutlich, dass eine Tochtergesellschaft, die ihrer Muttergesellschaft im Rahmen von Verträgen personelle und technische Ressourcen zur Verfügung stellt, nicht automatisch eine feste Niederlassung der Muttergesellschaft begründet. In jedem Fall muss geprüft werden, ob die Sachmittel und das Personal dem Unternehmen tatsächlich zur Verfügung stehen und es in der Lage ist, diese so zu nutzen, als wären es die Eigenen.
Der EuGH gibt in dieser Entscheidung weitere Hinweise, wann das der Fall sein kann: Nämlich dann, wenn Dienstleistungs- oder Mietverträge vorliegen, die nicht kurzfristig gekündigt werden können. Die Rechtsprechung ist jedoch äußerst kasuistisch und bietet darüber hinaus wenig konkrete Anknüpfungspunkte. Organschaften könnten ein Anknüpfungspunkt sein: Diese sind zwar von Ihrer Wirkung her auf das Inland beschränkt, könnten aber das Kriterium erfüllen, dass eine Muttergesellschaft über eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat verfügt und somit grundsätzlich eine feste Niederlassung begründet. Aber auch „geringere“ Ausprägungen können wohl schon eine feste Niederlassung begründen. Denkbar wären zB (langfristige) Miet- und Personalgestellungsverträge mit einer Tochtergesellschaft. Allerdings birgt auch dies wiederum Gestaltungspotential, zB dann, wenn die Verträge kurzfristig gekündigt werden können.
Zum Thema Umsatzsteuer-Betriebsstätte ist bereits ein weiteres Verfahren (Rs Cabot Plastics Belgium) beim EuGH anhängig: Die belgische Steuerbehörde argumentiert das Bestehen einer festen Niederlassung eines schweizerischen Auftraggebers gegenüber seinem belgischen Lohnfertiger. Die Entscheidung bleibt gespannt abzuwarten.
Bis dahin ein Literaturtipp: In diesem Beitrag haben sich Michael Huber und Sebastian Lacha bereits ausführlich damit auseinander gesetzt, wann die Kriterien für das Vorliegen einer festen Niederlassung erfüllt sind und welche Zweifelsfragen es dabei gibt.