EuGH zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs

Der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache X lag folgender Fall zugrunde:

Die Gesellschaft B verkaufte an X zehn Baugrundstücke. Beabsichtigt war, darauf Mobilheime zu errichten und  zusammen mit dem Grundstück zu verkaufen. B lieferte die Parzellen an X am 20. April 2006 und stellte ihm für diese Lieferung die Mehrwertsteuer in Rechnung. X übte sein Recht auf Vorsteuerabzug nicht aus. Die beabsichtigte Entwicklung der Parzellen wurde allerdings nicht realisiert. Am 8. Februar 2013 verkaufte X zwei Parzellen an B zurück und stellte die Mehrwertsteuer auf den Verkaufspreis in Rechnung. X erklärte den Betrag dieser Steuer nicht und führte ihn auch nicht ab.

Am 26. November 2015 richtete die Steuerverwaltung an X einen Nacherhebungsbescheid über die Mehrwertsteuer bezüglich des von B für die Lieferung der beiden Parzellen gezahlten Preises und zog die Mehrwertsteuer ein. X erhob Klage gegen diese Nacherhebung. Er begründete dies damit, dass die Nacherhebung um den für die Lieferung dieser Parzellen im Jahr 2006 gezahlten Mehrwertsteuerbetrag reduziert werden müsse.

Das Berufungsgericht gab den Anträgen von X statt und setzte den Nacherhebungsantrag herab. Nach der dagegen erhobenen Beschwerde beim Obersten Gerichtshof legte dieser die Rechtssache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art 184 und 185 MwSt-RL dahin auszulegen sind, dass sie einem Steuerpflichtigen, der es versäumt hat, den Vorsteuerabzug für den Erwerb eines Gegenstands oder einer Dienstleistung innerhalb einer vom nationalen Recht vorgesehenen Ausschlussfrist auszuüben, die Möglichkeit verwehren, diesen Abzug später bei der ersten Verwendung des Gegenstands oder der Dienstleistung zum Zweck besteuerter Umsätze im Wege einer Vorsteuerberichtigung vorzunehmen.

Der EuGH hat bereits mehrfach festgestellt, dass gemäß Art 167 und Art 179 Abs 1 der MwSt-RL das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich während des gleichen Zeitraums ausgeübt wird, in dem es entstanden ist. Das ist jener Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die Steuer entsteht. Nach Art 63 MwSt-RL treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Gleichwohl kann einem Steuerpflichtigen gemäß Art 180 und 182 MwSt-RL das Abzugsrecht auch gewährt werden, wenn er es nicht während des Zeitraums, in dem es entstanden ist, ausgeübt hat. Voraussetzung ist jedoch, dass bestimmte in den nationalen Regelungen festgelegte Bedingungen und Einzelheiten befolgt werden.

Das niederländische Umsatzsteuergesetz sieht allerdings nicht die Möglichkeit vor, das Recht auf Vorsteuerabzug nach Ablauf der Frist für die Abgabe der Erklärung für den Zeitraum, in dem dieses Recht entstanden ist, auszuüben. Ein nachträgliches Vorsteuerabzugsrecht wird somit nicht gewährt. Außerdem ist die in den Art 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungspflicht zwar insofern weit definiert, als „der ursprüngliche Vorsteuerabzug … berichtigt [wird], wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war“. Allerdings hat der Gerichtshof entschieden, dass der Berichtigungsmechanismus nur dann anwendbar ist, wenn ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht. Die Art 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie können jedoch kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen lassen. Daraus folgt, dass der von der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Berichtigungsmechanismus keine Anwendung findet, wenn ein Steuerpflichtiger es versäumt hat, das Recht auf Vorsteuerabzug auszuüben, und er dieses wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist verloren hat.

 

Praxisfolgen

Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, den Vorsteuerabzug rechtzeitig geltend zu machen. Sobald eine Leistung ausgeführt wurde und eine Rechnung vorliegt, sollte daher die Vorsteuer in Abzug gebracht werden.

Schwierigkeiten kann das bei mangelhaften Rechnungen und bei Umsätzen werden, die zwar grundsätzlich steuerfrei sind, aber eine Option zur Steuerpflicht vorsehen. Die Finanzverwaltung in Österreich fordert hier, dass die Ausübung der Option mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht. Bei mangelhaften Rechnungen kommt einer Berichtigung Rückwirkung zu, dh der Vorsteuerabzug ist bereits dann geltend zu machen, wenn die mangelhafte Rechnung vorliegt. Nur wenn der Mangel so gravierend ist, dass dies den Nachweis verhindert, dass die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt sind, besteht das Recht aus Vorsteuerabzug erst dann, wenn die berichtigte Rechnung vorliegt. Ein gravierender Mangel wäre bspw das Fehlen des Umsatzsteuerbetrags.