EuGH zum Vorsteuerabzug bei falscher Auslegung des Unionsrechts

Der EuGH hat am 13. Jänner 2022 entschieden, dass bei einer falschen Auslegung des Unionrechts seitens der leistenden nationalen Behörde und dadurch bedingter steuerfreier Verrechnung dem Leistungsempfänger kein Vorsteuerabzug zusteht.

Im Sachverhalt geht es um eine britische Gesellschaft, welche einen Versandhandel mit Vitaminen und Mineralstoffen betreibt. In den Jahren 2006 bis 2010 bezog das Unternehmen aufgrund von individuell ausgehandelten Verträgen Postdienstleistungen, welche auf der Grundlage der nationalen Rechtsvorschriften als mehrwertsteuerfrei angesehen wurden. Folglich wurden Rechnungen ohne Mehrwertsteuer ausgestellt. Im Jahre 2009 hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass die Mehrwertsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a. der Richtlinie 2006/112 nicht für Dienstleistungen gilt, die von öffentlichen Posteinrichtungen erbracht und deren Bedingungen individuell ausgehandelt wurden.

Die nationale Behörde verzichtete auf die Erhebung der Mehrwertsteuer, da der Leistungsempfänger ohnehin einen Vorsteuerabzug geltend machen könnte. Ebenso verzichtete der Postdienstleister auf eine Nachverrechnung der Umsatzsteuer. Vertraglich wäre eine Nachverrechnung jedoch möglich gewesen, da ausdrücklich ein Preis ohne Mehrwertsteuer vereinbart war und sich der Leistungsempfänger verpflichtet hat, eine allfällige Mehrwertsteuer zu tragen. Zwischenzeitlich waren mögliche Rückforderungsansprüchen (sowohl seitens der Behörde als auch seitens des Postdienstleisters) zudem verjährt.

Da die Gesellschaft aber der Ansicht war, dass ihre Zahlungen im Zusammenhang mit den Postdienstleistungen rückwirkend so zu verstehen waren, dass sie Mehrwertsteuer enthalten, stellte sie bei der Steuer- und Zollverwaltung zwei Anträge auf Vorsteuerabzug für die betreffenden Leistungen, welche seitens der Behörde abgewiesen wurden.

Fraglich war unter anderem, ob die Mehrwertsteuer als entrichtet angesehen werden kann, wenn sie als im gezahlten Preis enthalten anzusehen sei. Diesbezüglich hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass der vereinbarte Preis – sofern der Lieferer nicht die Möglichkeit hat, die Mehrwertsteuer vom Erwerber wiederzuerlangen – so anzusehen ist, dass er die Mehrwertsteuer bereits enthält. Dies gilt unter den Voraussetzungen, wenn der Preis eines Gegenstands von den Vertragsparteien ohne jeglichen Hinweis auf die Mehrwertsteuer festgelegt wurde und der Lieferer dieses Gegenstands für den Umsatz Steuerschuldner ist. Etwas anderes gälte jedoch, wenn der Lieferer nach nationaler Rechtsprechung die Möglichkeit hätte, zum vereinbarten Preis einen Zuschlag entsprechend der Umsatzsteuer hinzuzufügen und diesen vom Erwerber des Gegenstands einzufordern.

Der EuGH kam daher zum Ergebnis, dass die Mehrwertsteuer im vorliegenden Fall nicht als geschuldet oder entrichtet angesehen werden kann – zum einen wegen der falschen Auslegung durch die nationale Behörde und der vertraglichen Netto-Vereinbarung, zum anderen weil keine rechtzeitigen Schritte zur Nacherhebung gesetzt wurden und daher jedem darauf gerichteten Vorbringen des Leistenden wie auch der Steuerverwaltung Verjährung entgegensteht. Dem Leistungsempfänger steht im Ergebnis kein Vorsteuerabzug zu.

Praxisfolgen

Auch wenn irrtümlich vom Vorliegen einer steuerfreien Leistung ausgegangen wird, kann der Leistungsempfänger nicht davon ausgehen, dass Kosten, die er zu tragen hatte, Mehrwertsteuer enthalten. Das gilt insbesondere dann, wenn ausdrücklich eine Netto-Vereinbarung getroffen wurde und eine Nachverrechnung der Mehrwertsteuer daher grundsätzlich möglich wäre. Dass der Leistende schlussendlich auf diese Nachverrechnung verzichtet hat, vermag nichts daran zu ändern, dass keine Mehrwertsteuer geschuldet oder entrichtet wurde.

Fraglich ist, wie der Fall zu behandeln wäre, wenn nicht die Steuerbehörde auf die Erhebung der Steuer verzichtet hätte. Zwar wird ein Steuerpflichtiger tunlichst darauf bedacht sein, eine von der Steuerbehörde nachträglich festgesetzte Mehrwertsteuer, an seine Kunden zu überwälzen. Es gibt aber durchaus Konstellationen, in denen dies – trotz entsprechender Netto-Vereinbarung – nicht umsetzbar ist, zB wenn die Nachforderung der Umsatzsteuer zivilrechtlich bereits verjährt ist. In derartigen Fällen muss uE aus Sicht des Leistenden von einer Brutto-Vereinbarung ausgegangen werden.

Aus Sicht des Leistungsempfängers stellt sich dann die Frage, ob er einen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Ein weiterer kritischer Punkt aus Sicht des Kunden ist außerdem die ordnungsgemäße Rechnung: Da der EuGH im vorliegenden Urteil ohnehin zum Schluss kam, dass keine Mehrwertsteuer geschuldet / entrichtet wurde, musste er auf diese Frage nicht mehr ausdrücklich eingehen. Grundsätzlich ist eine Rechnung aber erforderlich, um den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen wird keine Rechnung erforderlich sein (siehe zB Rechtssache Vadan). Eine ordnungsgemäße Rechnung könnte schließlich auch eingeklagt werden, wobei auch hier uU zivilrechtliche Verjährungsfristen zu beachten sind.

Die Frage des Rechnungserfordernisses in derartigen Fällen bleibt daher letztlich noch ungeklärt.