EuGH zu den mehrwertsteuerrechtlichen Auswirkungen bei falsch eingestuftem Reihengeschäft

In diesem Urteil entscheidet der EuGH über die Auswirkungen einer nicht steuerbefreiten innergemeinschaftliche Lieferung, welche fälschlicherweise als Inlandsumsatz eingestuft wurde.

Im Sachverhalt geht es um das Unternehmen B, welches den Sitz in den Niederlanden hat und in Polen für mehrwertsteuerrechtliche Zwecke registriert ist. Im April 2012 nahm das Unternehmen an einem Reihengeschäft mit mindestens drei Unternehmen teil. Dabei fungierte die niederländische Gesellschaft als Zwischenhändlerin zwischen dem Lieferer und dem schlussendlichen Empfänger. Die Gesellschaft B erwarb Gegenstände von dem polnischen Lieferanten BOP unter Angabe ihrer polnischen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer. Die Lieferungen von BOP an B wurden als steuerpflichtige inländische Lieferungen eingestuft, hingegen wurden die Lieferungen von B an die Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten als innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt.

Die polnische Steuerbehörde identifizierte jedoch die erste Lieferung von BOP als innergemeinschaftliche Lieferung und in Bezug auf das Unternehmen B als innergemeinschaftlicher Erwerb von Waren. Das Unternehmen hätte sich in den Bestimmungsländern mehrwertsteuerrechtlich registrieren lassen und die Lieferungen dort als innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen erfassen müssen. Durch die Verwendung der polnischen UID-Nr kommt es zu einer weiteren Erwerbsbesteuerung in Polen. Die Lieferungen von B an die Abnehmer innerhalb der Europäischen Union sind hingegen keine mehrwertsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen im Abgangsland Polen, sondern im Bestimmungsmitgliedstaat zu besteuernde inländische Lieferungen. Das Oberste Verwaltungsgericht in Polen folgte der Auffassung der Steuerbehörden.   

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass bei Umsätzen, die eine Kette von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen bilden und zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung führen, diese Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden kann. Diese kann nur im Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung der Waren als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerbefreit sein. Im vorliegenden Fall stellt die erste Lieferung dieser Kette für BOP eine innergemeinschaftliche Lieferung und für B einen innergemeinschaftlichen Erwerb dar.

Der EuGH führt weiter aus, dass als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort gilt, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung ihrer Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden (Art. 40 der MwSt-RL). Gemäß Art. 41 MwSt-RL kommt es jedoch zu einem weiteren innergemeinschaftlichen Erwerb, wenn der Erwerber die UID-Nr eines anderen Mitgliedstaates als des Bestimmungsland verwendet und der Erwerber nicht nachweist, dass der Erwerb im Bestimmungsland besteuert wurde. Die Tatsache, dass B die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Mitgliedstaats des Beginns der Beförderung der Gegenstände verwendet hat, schließt für sich genommen den innergemeinschaftlichen Charakter des Umsatzes nicht aus. Die Besteuerung des tatsächlichen innergemeinschaftlichen Erwerbs muss im Übrigen durch den Erwerber erfolgen. Eine zu Unrecht vorgenommene Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Abnehmer des B ist nicht ausreichend. Durch die Regelung des Art 41 MwSt-RL soll zum einen sichergestellt werden, dass ein bestimmter innergemeinschaftlicher Erwerb besteuert wird, und zum anderen verhindert werden, dass dieser Erwerb doppelt besteuert wird.

Im vorliegenden Fall bleibt jedoch BOP verpflichtet, die Mehrwertsteuer auf die an B bewirkte innergemeinschaftliche Lieferung zu erheben, während der Käufer B keine Vorsteuer abziehen kann. Somit besteht keine Gefahr einer Steuerumgehung im Abgangsmitgliedstaat, so dass eine weitere Besteuerung in diesem Mitgliedstaat auf Grundlage des Art 41 MwSt-RL den mit dieser Bestimmung verfolgten Zielen zuwiderläuft. Die Anwendung der in Art 41 der MwSt-RL aufgestellten Regel auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, der mit einer nicht steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen einhergeht, führt zu einer zusätzlichen Besteuerung, die nicht mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität im Einklang steht.

Praxisfolgen

Das vorliegende Urteil des EuGH räumt gleich mit mehreren Zweifelsfragen auf, die in der Praxis häufig vorkommen. Zum einen ist nun klar, dass ein fiktiver innergemeinschaftlicher Erwerb (Verwendung einer anderen UID-Nr als des Bestimmungslandes) auch im Abgangsmitgliedstaat bewirkt werden kann. Zum anderen hat der EuGH klargestellt, dass es für den Nachweis der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im tatsächlichen Bestimmungsland nicht ausreichend ist, wenn irgendjemand diese Besteuerung durchführt. Die Besteuerung muss durch denjenigen erfolgen, der auch den fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb bewirkt hat.

Der fiktive innergemeinschaftliche Erwerb darf aber nicht zu einer doppelten Besteuerung führen. Wenn die Lieferung an den Erwerber irrtümlich schon mit der Umsatzsteuer des Abgangslandes belastet ist und der Erwerber keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann, würde es den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität widersprechend, den Erwerber nochmals mit der Umsatzsteuer aus dem fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb zu belasten.

Diese Urteil lässt somit eine Hintertür offen, womit wenigstens eine doppelte Besteuerung vermieden werden kann. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der Erwerber nach wie vor mit der nicht abzugsfähigen Vorsteuer belastet ist. Dies zeigt auch, wie wichtig es in der Praxis nach wie vor ist, die innergemeinschaftliche Lieferung im Zuge von Reihengeschäften korrekt zuzuordnen und wie wichtig ganz allgemein die Verwendung der richtigen UID-Nr ist. Spannend bleibt die Frage, wie der Fall nach der neuen Rechtslage, wonach eine ausländische UID-Nr materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist, zu beurteilen wäre. Fraglich ist dann, ob ein Vorsteuerabzug aus der steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Lieferung möglich ist und ob es in weitere Folge zu einer Besteuerung des fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerbs kommt.